Gut, über den Pullover (mit Original-Garn, nach Anleitung) möchte ich kein Wort verlieren....kurz vor dem Armloch ist mir augefallen, dass der Pullover wohl einem Elefanten passen würde.
Wie gut, dass ich besagten Pullover total vernachlässigt habe, nachdem es mir gelungen war, mir als einzelgängerische, grantige Fränkin ein in Eigenverlag heausgegebenes Buch, den Chiemgauer Loiferlstickband gewissermassen zu erschleichen. Wie, das verrate ich natürlich nicht. Schliesslich will ich meine Kontakte nicht in Gefahr bringen. Nach allem, was ich im Internet über Trachtenverbände in Erfahrung bringen konnte, kennen die recht wenig Spass, wenn es um ihr G'wand geht.
Keine Sorge, ich will besagte Loiferl weder verunglimpfen noch abwandeln noch in den Schmutz ziehen, nachdem meine Mustersammlung reich ist an "mainstream" Trachten-Anleitungen, wollte ich einfach einmal die echte, "hardcore"-Version nachstricken, aus Neugier und wegen der Technik. Für alle, die jetz "häh???" sagen, das ist so wie der Unterschied zwischen Musikantenstadl und Volksmusik. Kitsch in beige-meliert mit sinnlosen Metall- und Kunstlederteilen versus überlieferte Muster, an denen man die Herkunft der Träger sehen kann. Positiv formuliert. Gestaltungsfreiheit und Modernität versus Uniformierung. Negativ formuliert. Da aber meiner Meinung nach das Schlimmste am Alter nicht etwa die Falten, Cellulite und Speckringe sind, sondern der Verlust der Gewissheit. Ist es nicht beruhigend, wie Teenager genau wissen, was gut ist oder schlecht, schön oder hässlich - pardon, out, peinlich, daneben, uncool, unmöglich...ab einem gewissen Alter gibt es kaum mehr schwarz und weiss, fast nur noch grau, die Welt verliert an Farben und Kontrasten. Man ist nicht mehr blind gegenüber der Schwächen und Nachteilen der Menschen und Dinge die man liebt, muss auch den Dingen, die man eigentlich ablehnt, durchaus positive Seiten abgewinnen (natürlich ist die industrielle Massentierhaltung schlecht, grausam und ungesund, aber ist nicht sie es, die es fast jeder Familie in der westlichen Welt ermöglicht, nicht nur am Sonntag ein Huhn im Topf zu haben?)...aber ich schweife ab.
Es war eine bereichernde Erfahrung, Loiferl nach der Original-Anleitung eines Trachtenvereins stricken zu dürfen. Und auch noch jemanden zu finden, der sie zu tragen versprach...
Wie immer war das Stricken für mich viel einfacher als die Stickerei, aber ich gebe bekanntlich nicht so leicht auf.
Behilflich waren der Stopfpilz (ohne Fuss) meiner Grossmutter, der wohl einmal grün gewesen war und den ich auch nicht für viel Geld hergeben würde (und für den wohl auch kaum jemand ein Gebot abgeben wollen würde), sowie ein Fund vom Nürnberger Trempala-Markt in diesem wonnigen Mai, eine sehr geschmackvolle Porzellanfigur vom röhrenden und röchelnden Hirsch, erstanden unter grossem Gelächter für nur 2 Euro, wegen abgebrochener Geweih-Spitzen...wahrscheinlich lachte der Verkäufer noch lauter als ich, dass jemand zwei gute Euro, also ein Seidla Bier in einenm Bierkellter auf dem Land, für so eine kitschige, lädierte Porzellan-Figur zu zahlen bereit ist, aber ich wollte mir eh das Saufen abgewöhnen und muss jedesmal lachen, wenn ich die beiden Hirsche sehe. Gut, es war die heraushängende, rosa Zunge des röchelndes Hisches, die mich zum Kauf bewog, zumal ich mich an diesem Tag wegen eines heranziehenden Männer-Schnupfens (= lebensbedrohliche Atemwegserkrankung) selber genau so fühlte.
Hier also die geballte Ladung, echte Loiferl nach dem Muster des Chiemgau Alpen Verbands für Tracht und Sitte, der abewetzte Stopfpilz ( alter Familienbesitz) und der röhrende und der röchelnde Hirsch (Flohmarktfund und Geldverschwendung):
Die Übergabe erfolgte im Wiesn-Biergarten in Nürnberg unter den amüsierten Blicken der anderen Biertrinker:
Und jetzt brauche ich dringend eine neue Ausrede, mich vor dem Pullover-Stricken zu drücken....
Nachtrag: Ich habe mich möglichst genau an das Muster gehalten, die "Aktivengrösse" mit 88 Maschen für den Umschlag passt schmalen bis mittleren Wadeln ganz problemlos (mit meinen geliebten 2,25er Nadeln gestrickt, Lana Grossa meilenweit weiss mit Schachenmayr tannengrün als Kontrast, Verbrauch etwa 70 gr/35 gr, also 2+1 Knäul). Sicherheitshalber habe ich abweichend von der Anleitung am Beginn des Bündchens eine Lochreihe eingestrickt, um gegebenenfalls einen Gummi einziehen zu können.